„Im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik steht der Mensch, nicht der Profit“ – Mag.a Renate Brauner

Mag.a Renate Brauner, Leiterin Büro für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft, hat mit der Wiener Bildungsakademie den Lehrgang Daseinsvorsorge in Wien konzipiert und entwickelt. Sie ist auch Lehrgangsvortragende und hat hierfür diesen Beitrag verfasst:
„Im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik steht der Mensch, nicht der Profit“ – diesen Satz kennen wir aus vielen SPÖ Programmen und von Wahlplakaten.
Dahinter steckt nichts Anderes, als dass wir Sozialdemokrat*innen das Gemeinwohl, die Lebensqualität Aller über das Gewinnstreben einiger Weniger stellen und für dieses Gemeinwohl im hohen Ausmaß mit öffentlichen Leistungen sorgen.
Diese öffentlichen Leistungen reichen von Wasserver- und -entsorgung, öffentlichem Verkehr, Abfallwirtschaft, Energieversorgung, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen bis zur Wohnversorgung, Kultur- und Sporteinrichtungen uvam. Der Überbegriff “Daseinsvorsorge” ist viel diskutiert und wird im Endeffekt politisch definiert.
Gerade jetzt, in Zeiten der Coronakrise, zeigt sich, wie wichtig eine starke öffentliche Hand und öffentliche Leistungen – besonders im Gesundheitsbereich – sind.
Dies wird auch von konservativer Seite im Moment nicht infrage gestellt; was allerdings übersehen wird ist die Tatsache, dass zum Beispiel in Österreich das Gesundheitswesen nur deswegen so gut funktioniert hat, weil auch in „normalen“ Zeiten dem neoliberalen Spardiktat und Privatisierungsdruck nicht nachgegeben wurde. Gerade jene Staaten, die diesem Spardruck gefolgt sind oder folgen mussten, leiden ganz besonders unter der Coronakrise.
Eine starke öffentliche Hand und gut funktionierende öffentliche Dienstleistungen sind für Mensch und Wirtschaft gerade – aber absolut nicht nur – in Krisenzeiten wichtig.
Technische Infrastruktur, wie öffentliche Verkehrsmittel, Wasserver- und -entsorgung oder Abfallwirtschaft sind zentrale Faktoren für die Lebensqualität der Menschen.
Betrachtet man die historische Entwicklung, so zeigt sich, dass gerade Entwicklungen wie öffentliche Wasserversorgung oder der Bau eines zeitgemäßen Kanalsystems oft Antworten auf große Gesundheitskrisen und Seuchen waren.
In diesem Sinne wird technische Infrastruktur auch von manchen Konservativen als Aufgabe des Staates gesehen, vor allem weil sie dem Wirtschaftsstandort dient.
Aber ganz getreu dem Motto des roten Wien “Luft, Licht, Sonne“ definieren Sozialdemokrat*innen Daseinsvorsorge viel breiter. Uns geht es nicht nur um das nackte Überleben des Menschen. Es geht uns auch um Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, einfach um ein glückliches, erfülltes Leben für Alle.
Bildung, Gesundheit, Kultur, Sport, nicht zuletzt Wohnen und – gerade in Städten – ausreichend Grünraum und Freiflächen sind ebenfalls Teil der öffentlichen Angebote in Wien.
Wien sieht sich mit seinen öffentlichen Daseinsvorsorgeleistungen in der großen Tradition des roten Wien. Gleichzeitig wird Daseinsvorsorge aber sehr zukunftsorientiert interpretiert. Im Smart City Konzept der Stadt Wien werden Daseinsvorsorgeleistungen gezielt zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben wachsender Städte und entlang der Herausforderungen der Klimakrise definiert. Gerade die Notwendigkeiten des Klimaschutzes brauchen eine starke öffentliche Hand und öffentliche Dienstleistungen. Eine Untersuchung des Momentum Institutes zeigt beispielsweise, dass der Verkehrssektor in Österreich 2019 über 10 Millionen Tonnen mehr CO2 verursachte als 1990. Damit werden Erfolge in anderen Sektoren vernichtet. Im selben Zeitraum sparte Österreich nämlich 9,4 Millionen Tonnen in anderen Bereichen, wie Abfallwirtschaft und Energieerzeugung, ein. Hauptgrund des Emissionsproblems ist oftmals die schlechte Öffi-Qualität. 46 % der Gemeinden sind unzureichend ans öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs nach dem Beispiel Wiens ist also ein ganz zentrales Element zur Erreichung der Klimaziele in Österreich. Europaweite effiziente Bahnverbindungen als Alternative zum Kurzstreckenflug und klimafreundliche Energielösungen können nur mit der öffentlichen Hand erreicht werden.
Die mangelnde Umweltfreundlichkeit privater Energieanbieter ist auch einer der vielen Gründe, warum es europaweit zu vielen Rekommunalisierungen kam.
Die Studie „Rekommunalisierung in Europa“ des Büros für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft der Stadt Wien gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung aus dem Jahr 2019 belegt 700 Beispiele für Rekommunalisierungen und deren Gründe.
Allen voran erfüllten Privatisierungen nicht die Versprechungen für günstigere und bessere Angebote. Das Gegenteil war der Fall, die Leistungen wurden teurer und schlechter; auch die Qualität der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen sank.
Nicht zuletzt vergaben sich die Kommunen die Möglichkeit der Gestaltung ihres eigenen Umfeldes, blieben aber weiter in der Verantwortung den Bürger*innen gegenüber. Wurde das Wasser teurer, beschwerten sich die Menschen nicht beim CEO eines Multis, sondern beim Bürgermeister oder der Bürgermeisterin!
Die Wahrnehmung der Bedeutung des öffentlichen Sektors hat sich während der Coronakrise deutlich geändert und unübersehbar waren es vor allem die Kommunen, öffentliche Unternehmungen – allen voran die Gesundheitseinrichtungen – die für die Menschen von ganz zentraler Bedeutung waren.
Die Kritik an öffentlichen Unternehmungen und an einer starken öffentlichen Hand ist zumindest vorübergehend leiser geworden, es wird an uns liegen dafür zu sorgen, dass diese Einrichtungen nachhaltig abgesichert sind, ja sogar ausgebaut werden.
Dies wird eine der zentralen Aufgaben der Sozialdemokratie für die nächsten Jahre werden, denn von konservativer Seite kommen schon wieder deutliche Signale in Richtung „mehr Privat weniger Staat“ und gegen eine offensive Finanzierung öffentlicher Investitionen.
Weltweit weisen immer mehr bedeutende Wirtschaftswissenschafter*innen und Politiker*innen, nicht zuletzt angefeuert durch das massive Investitionsprogramm von Präsident Joe Biden in den USA, aber auch vom fremdfinanzierten Wiederaufbaufonds der europäischen Union, auf die Notwendigkeit öffentlicher Investitionen für Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Lösung des Klimaproblems hin. Die österreichische Bundesregierung hingegen bleibt entweder mangels Kenntnis, oder durch rein politisches Kalkül in ihren alten Meinungen verhaftet. Nicht nur, dass es Österreich war, das sich lange Zeit gegen den fremdfinanzierten Wiederaufbaufonds gewehrt hat, hat auch der österreichische Finanzminister als erster – noch während der Coronakrise – auf die Rückzahlung der Kredite (und damit dem Hintanstellen von Investitionen) gepocht.
Renommierte Wissenschafter*innen, allen voran Paul Krugman, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, oder – im deutschsprachigen Raum – Achim Truger, Mitglied des „Wirtschafts-Weisenrates“ der deutschen Bundesregierung und des Wirtschafts-Beirats der Stadt Wien, weisen darauf hin, dass langfristige schuldenfinanzierte Investitionen dem Aufbau öffentlichen Vermögens, dem Wachsen von Wirtschaft und Wohlstand und damit der Krisenbewältigung und der Lebensqualität der Menschen dienen. Angesichts der derzeitigen Zinssituation spricht die Arbeiterkammer im Zusammenhang mit ihrer „Initiative Investieren“ vom „Vermögensaufbau zum Nulltarif“.
Die Rufe nach einer Veränderung der Fiskalregeln der europäischen Union („Maastricht-Kriterien“), die den Staaten Neuverschuldungen verbieten, werden lauter. Inhalt dieser Forderungen ist die sogenannte „Goldene Regel“, die besagt, dass Fremdmittel durch die öffentliche Hand aufgenommen werden können, soweit damit langfristige Investitionen getätigt und damit bleibende Werte geschaffen werden. Sogar schon vor der Corona Krise ergab eine gemeinsame Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Instituts der deutschen Wirtschaft einen Investitionsbedarf in Deutschland in öffentliche Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung und Klimaschutzmaßnahmen von 450 Milliarden Euro über die kommenden 10 Jahre. Explizit fordern die beiden wissenschaftlichen Institute eine Fremdfinanzierung und eine Änderung der Maastricht Kriterien im Sinne dieser „Goldenen Regel“.
Entscheidende Fragen stellen sich in nächster Zukunft und werden die politische Diskussion der nächsten Jahre bestimmen:
Welche Rolle wird die öffentliche Hand in Zukunft – auch nach der Coronakrise – haben?
Werden Daseinsvorsorgeleistungen ausgebaut oder eingespart und privatisiert?
Und vor allem die entscheidende Verteilungsfrage: wer wird die Kosten der Krise bezahlen?.
Die sozialdemokratischen Antworten sind klar:
- Ausbau der öffentlichen Infrastruktur
- Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge
- Massive Investitionen in gesellschaftliche Herausforderungen, wie Gesundheitssysteme, Pflege, Kinderbetreuung und leistbares Wohnen.
- Stärkere Investitionen in wesentliche Zukunftsfragen, wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz
- Investitionen in umweltfreundliche Verkehrslösungen und Energieformen
- und damit die Bewältigung der wirtschaftlichen Krise und die Schaffung vieler nachhaltiger, qualitätsvoller Arbeitsplätze.
Finanziert werden kann all dies durch eine gerechte Vermögensbesteuerung, durch das Schließen von verschämt als „Steuervermeidung“ bezeichnete Steuerlücken und internationale Regeln, die auch die großen Konzerne zwingen, Steuern zu zahlen wie lokale Unternehmungen.
Es wird an Sozialdemokratie und Gewerkschaften liegen, diese Maßnahmen in Österreich und international umzusetzen. Denn wir sind die einzigen, die diese Antworten auf die entscheidenden Zukunftsfragen geben können und gemeinsam die Kraft haben, sie auch zu realisieren.