Die Bildungsorganisation der digitalen Zukunft angesichts der COVID-19-Krise. Das Beispiel der Wiener Bildungsakademie
Die Fachzeitschrift MEDIENIMPULSE haben den Bildungssekretär der Wiener Bildungsakademie darum gebeten, seine Erfahrungen mit der Digitalisierung angesichts der COVID-19-Krise zusammenzufassen. Mit seinen Ausführungen wird deutlich, dass aus medienpädagogischer Sicht die entscheidenden Maßnahmen erst durch die Krise gesetzt wurden und wir uns alle auf dem Weg in eine digitale Zukunft befinden …
MEDIENIMPULSE asked the education secretary of the Vienna Academy of Education to summarize his experience with digitization in the face of the COVID 19 crisis. His remarks make clear that, from a media pedagogical point of view, the decisive measures were only taken by the crisis and that we are all on the way to a digital future …
Der Beitrag wurde ebenfalls in der Zeitschrift “Die Zukunft” veröffentlicht.
1. Einleitung
Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie ist untrennbar mit dem Begriff der Bildung verbunden. Denn mit der Entwicklung der ersten Arbeiterbildungsvereine und weiterer Nachfolgeorganisationen vor über 130 Jahren konstituierte sich die österreichische Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse noch vor dem Gründungsprogramm von Hainfeld (1888/1898) von Beginn an als (analoge) Bildungsbewegung. Viele Ideen und Visionen, die schlussendlich zum Erfolg des Roten Wien und des Austromarxismus geführt haben, wurden bereits im 19. Jahrhundert in diesen Vereinen und später in neu gegründeten Parteistrukturen diskutiert, entwickelt und schlussendlich politisch umgesetzt. Dabei ging es von Beginn an darum, die bürgerliche und
die proletarische Bildung anzunähern, um allen Menschen ein egalitäres Bildungsniveau zu garantieren. In der Folge waren es Denkerinnen und Denker der sozialdemokratischen Partei, etwa Rosa Jochmann oder Max Adler, die besonders unter den beiden Faschismen der 1930er und 1940er Jahre gelitten haben. Einige von ihnen, wie beispielsweise Robert Danneberg, Gründungssekretär der Sozialistischen Bildungszentrale, haben diese Zeit nicht überlebt.
Überlebt hat aber das politische Erbe und damit auch der Bildungsgehalt der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, die gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgreich weitergeführt wurden. Die Errichtung einer neuen Bildungsorganisation, die Neugründung einer Parteischule sowie die Entwicklung von zahlreichen neuen Ausbildungsmethoden. Die Wiener SPÖ-Bildung verfügt nach wie vor über medienimpulse, zahlreiche Beispiele der politischen Kommunikation aus diesen Jahrzehnten, die beeindruckend belegen, wie fortschrittlich diese Vorgängerinnen und Vorgänger waren. Hätten sie über ähnliche technologische Möglichkeiten verfügt, die heute angesichts der COVID-19-Krise und angesichts aktueller Produktionsbedingungen vor Augen stehen, hätte sie wohl nichts mehr aufhalten können.
2. Mediengeschichte(n)
Vor home pages und social media gab es im Rahmen der proletarischen Bildungsbewegung zahlreiche Druckwerke und Publikationen (Bücher, Broschüren, Zeitungen etc.) sowie die Einführung von Fernlehrgängen, die eben nicht in der digitalen Onlinewelt stattfanden, sondern mithilfe von analogen Ordnern umgesetzt wurden, die postalisch verschickt wurden. Statt Webinaren waren die Menschen noch in den 1970er und 1980er Jahren auf Tonaufzeichnungen (Langspielplatten und Kassetten) sowie zahlreiche Videoaufzeichnungen auf Super 2000 oder VHS angewiesen. Mit Beginn der 1990er Jahre öffnete sich die Wiener Bildungsorganisation nach außen hin, wodurch zahlreiche Symposien und Gedenkveranstaltungen entwickelt und neue Zielgruppen angesprochen wurden. Vorerst wurde dabei auf eigene Plattformen im Internet verzichtet, vielmehr wurden eher spärliche Informationen über die damalige Homepage der SPÖ Wien veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Frage der digitalen Präsenz in den Medien dem Bildungssekretär der SPÖ Wien, Michael Ludwig, bereits ein großes Anliegen, weshalb eine Neuausrichtung der Bildungsarbeit unternommen wurde. Die Angebote und die Kommunikation der Wiener SPÖ-Bildung sollten auf neue „digitale Beine“ gestellt werden. Seit Juli 2005 war es eine maßgebliche Aufgabe, diese neue Homepage, welche nun gut programmiert worden war, mit Leben und Inhalten zu befüllen.
Viele Jahre lang konnten dann die bildungspolitischen Angebote im Rahmen dieser medialen Infrastruktur beworben und inhaltlich Informationen weitergeleitet werden. Es gab zur damaligen Zeit sehr innovative Projekte wie das von der SPÖ Wien mitentwickelte Campa – eine interne Austauschplattform im Stil von Facebook – und einige mehr … alle im Grunde Vorstufen der heutigen social media. Das Hauptschwergewicht im Ausbildungsbereich lag zu diesem Zeitpunkt auf der Vermittlung von Internetkompetenzen sowie der Durchführung von Seminaren zum Thema „Wie erstelle ich meine erste Homepage?“, welche die Medienkompetenz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einfachster Ebene erhöhen sollten. Es gab in diesem Bereich hohen Nachholbedarf, welcher mit zahlreichen Angeboten abgedeckt werden sollte. Im Februar 2007 übernahm der Autor dieses Beitrags dann die Funktion des Bildungssekretärs der Wiener SPÖ-Bildung, wobei digitale Überlegungen und Visionen immer wichtiger wurden. Denn es wurde immer deutlicher, wie schnell unsere Gesellschaft durch technologische Errungenschaften vor neue Herausforderungen gestellt wurde.
Abbildung 1: Die Homepage der Wiener Bildungsakademie
© WBA
Online unter: https://wienerbildungsakademie.org/
3. Bildungspolitik zwischen digitalem Angebot und Nachfrage
Ab 2009 kam Facebook ins Spiel, im selben Jahr produzierte die Wiener Bildungsakademie ihre ersten YouTube-Filme, erstellte neue Homepages und versuchte sich in der besseren Bewerbung ihrer analogen Angebote mit digitalen Möglichkeiten. Kurz gesagt: E-Mail, Newsletter und einige Werbe- und Ankündigungsfilme, welche eher unregelmäßig produziert wurden waren hier der Stand der Dinge. Rückblickend gesehen, lag das inhaltliche Schwergewicht auf der Entwicklung neuer Bildungsangebote.
Abbildung 2: Der Facebook-Auftritt der Wiener Bildungsakademie
© WBA
Online unter: https://www.facebook.com/wibiak
Die Umgestaltung der Parteischule, Schaffung neuer medienspezifischer Lehrgänge wie „Politik und Journalismus“, „Fotografie und Politik“ oder die Mitentwicklung des FH-Lehrgangs „Führung, Politik und Management“ standen so im Mittelpunkt. Mit der Gründung der Wiener Bildungsakademie im Jahr 2016 war in der Folge allen Beteiligten bewusst, dass diese politisch ausgerichtete Bildungsinstitution von nun an vermehrt auf die digitale Zukunft hin orientiert werden muss. Die gesetzten Schritte waren klein aber durchwegs bedacht. So haben alle Beteiligten damit begonnen, zahlreiche Veranstaltung des Wiener Bildungszentrums auf Facebook zu streamen, eine neue Homepage mit zahlreichen Möglichkeiten wurde umgesetzt und auf die Bildsprache in digitalen Räumen wurde mehr und mehr Wert gelegt. Auch wurden ab 2018 Angebote zu den Bereichen „Digitalisierung und Politik“ sowie „Digitales Führen“ entwickelt, was auch heute noch darauf hinweist, dass die geänderten Produktionsbedingungen langsam, aber doch, reflektiert wurden. Die (bildungspolitische) Nachfrage nach diesen Angeboten war bis ins Frühjahr 2020 aber eher dürftig.
4. COVID-19 und die Digitalisierung
Am 13. März 2020 setze dann die COVID-19-Krise ein und alle bisherigen Konzepte der Wiener Bildungsakademie waren von einem auf den anderen Tag hinfällig. Denn das gesamte Bildungsangebot war zur Gänze auf analoge Veranstaltungen ausgerichtet. Kurze Verzweiflung machte sich in der Wiener Bildungsakademie breit, doch konnte ab dem 15. März 2020 die gesamte Akademie auf digitale Beine gestellt werden. Dadurch, dass alle beteiligten Institutionen bis dahin einen großen Bogen um Themen wie Digitalisierung, social media oder distant learning gemacht haben, mussten schnelle Entscheidungen getroffen werden, um das gesamte Programm zu „digitalisieren“.
In den darauffolgenden Wochen musste das Team der Wiener Bildungsakademie – wie wohl viele andere Menschen und Institutionen im globalen Maßstab – die breite Palette an Videokonferenzsystemen kennenlernen und austesten. Ausgehend von der vorhandenen Infrastruktur (das Bildungszentrum der Wiener Bildungsakademie läuft auf Windows-Rechnern) und lizenzrechtlichen Vorteilen fiel die Entscheidung dann auf Microsoft Teams als Basis für das sich langsam aufbauende Onlineangebot. MS Teams bietet u. a. mit seinen hohen Sicherheitsvorkehrungen eine gute Infrastruktur für den (internen und externen) Seminarbetrieb der Bildungsakademie. Die ersten Tage waren absolutes Neuland für die gesamte Akademie:
registrieren, anmelden, verbinden und dann die wichtigste Medienkompetenzfrage per Handy: Wie können wir eigentlich das Mikrofon einschalten? Es waren echte Pioniertage, da jedes auftauchende Problem die Institution um einen Schritt weitergebracht hat. Das erste Webinar fand dann am Dienstag, den 16. März, um 18.00 Uhr statt, ein (interner) Abend der Wiener Parteischule. Noch in derselben Woche fiel die Entscheidung, angesichts der COVID-19-Krise im Zweiwochenrhythmus digitale Veranstaltungen zu wichtigen Themen anzubieten. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand wissen, wie lange diese Phase des home office wirklich dauern würde. So war auch nicht klar, wann wieder analoge Veranstaltungen stattfinden könnten.
Ganz klar erkennbar war aber in diesen ersten digitalen Tagen und Wochen – auch angesichts der politischen Konkurrenz – dass sehr viele Menschen und Institutionen sehr rasch auf diese neue Situation reagiert haben. Es war allen Beteiligten bewusst, dass sie sich in dieser digitalen Fülle an Angeboten erkennbar machen müssen. Dabei fand die Wiener Bildungsakademie vor allem drei Ansatzpunkte, um in den Herausforderungen der Krise digital zu bestehen:
Abbildung 3: Digitale Veranstaltungen der Wiener Bildungsakademie
© WBA
- wurde eine sehr schlichte und einfache corporate identity für alle digitalen Angebote entwickelt, die gerade in den ersten Wochen sehr auffällig war,
- wurden auch konkurrierende Angebote analysiert, wobei im unmittelbaren Umfeld eine Lücke der digitalen Möglichkeiten entdeckt wurde: Webinare rund um den Globus. So ist es gelungen, Diskussionen live aus den USA, China, Südamerika, Afrika und selbstverständlich aus sehr vielen europäischen Ländern zu ermöglichen, und
- war es von Beginn an wichtig, sich technologisch stetig weiterzuentwickeln. Anfänglich ging es vor allem um Hardware (Kameras, Mikrofone und Co.), ab der Hälfte der Corona-Krise nur mehr um Software. Entscheidend ist dabei, neue Möglichkeiten bei der Vermittlung von digitalen Angeboten aufzuzeigen. Mit Open Broadcaster Software (OBS) und Co. konnten in der Folge die Übertragungsmöglichkeiten enorm erhöht werden. Die Einrichtung eines neuen Studios im Bildungszentrum ist abgeschlossen und die Vorteile einer neuen 180-Grad-Kamera warten derzeit auf ihre Entdeckung …
5. Conclusio: Ein Blick in die digitale Zukunft …
Bei allen offenen Fragen geht es daher auch künftig darum, im Rahmen einer aktiven Bildungsinstitution die Grundlage dafür zu schaffen, Medienkompetenz in allen Facetten (Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung) zu begreifen und den Userinnen und Usern digitaler Angebote zu vermitteln. Wohin die digitale Reise führen wird, ist dabei keineswegs ausgemacht. Sicher aber ist, dass es auch angesichts des digital divide darum geht, niemanden zurückzulassen und im Sinne der Mediensynchronie – und der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung – sowohl analog als auch digital beweglich zu sein. Dabei sind Themen wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität genauso bindend wie Gendersensibilität, Barrierefreiheit oder Internationalismus. So ist derzeit – nach dem Vorbild von Steven Spielbergs Shoa Foundation – ein Projekt in Planung, bei dem ältere Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung interviewt, transkripiert und dann im Rahmen eines digitalen Archivs auch online präsentiert werden sollen. Analoge Publikationen sollten dabei sukzessive durch digitale (etwa Lehrfilme) erweitert werden, um die digitale Bildungsakademie wirklich werden zu lassen. Alles in allem befindet sich auch das politische System Österreichs insgesamt auf dem Weg in eine herausfordernde digitale Zukunft.