Digitalisierung in der Arbeitswelt: Eine politische Frage – von Astrid Schöggl
„Werden wir alle von Robotern ersetzt?“ wird oft gefragt, wenn es um Digitalisierung in der Arbeitswelt geht. Die Antwort ist sowohl unbefriedigend als auch meist dieselbe: Es kommt darauf an. Wie Arbeitsmarktexperte Michael Mesch zeigt, gab es trotz des beispiellosen technologischen Fortschritts im 20. Jahrhundert keine langfristig steigende Arbeitslosigkeit.[1] Das ist weniger eine Frage der Technologie als eine Frage der gesellschaftlichen Ausgestaltung.
Zuerst aber zu dem, was wir bereits wissen: Dort wo mühsame, körperlich anstrengende Tätigkeiten durch Maschinen ersetzt werden, sind neue, qualitätsvollere Arbeitskräfte gefragt, um die neuen Techniken anzuwenden. Gleichzeitig steigt gesamtwirtschaftlich die Nachfrage, was wiederum mehr Arbeitsplätze schafft, zeigt Sylvia Kuba.[2] Dort wo Arbeit effizienter wird, lässt sich übrigens auch die Arbeitszeit verkürzen. So halbierte sich diese zwischen 1870 und 2000 auf 1.500 Stunden.
Im Wesentlichen lässt sich diese Einordnung auch auf die Digitalisierung des 21. Jahrhunderts umlegen. Es kommt dabei zu einem Auseinanderdriften auf dem Arbeitsmarkt, denn zwei Arten von Tätigkeiten können derzeit noch nicht automatisiert werden: hochkomplexe kognitive Aufgaben auf der einen Seite, und Routine-Aufgaben, die zum Beispiel motorisch komplex oder sozial fordernd sind, auf der anderen Seite. Am potenziell stärksten betroffen von der Bedrohung durch die Digitalisierung sind also Gruppen wie Hilfsarbeitskräfte, Handwerker*innen, Maschinenbediener*innen und Personen in Dienstleistungsberufen.
Besonders Frauen haben bei Arbeitsmarktveränderungen durch Digitalisierung oft das Nachsehen, und zwar Berufsgruppenübergreifend. Wenn man Digitalisierung in arbeitsunterstützende und arbeitsersetzende Innovationen aufteilt, kommen erstere meist in männerdominierten Feldern zum Einsatz, und letztere eher in frauendominierten Feldern. Das liegt daran, dass die Einführung einer Technologie meist kapitalintensiv ist. Das rentiert sich nur dort, wo mit der Innovation die Chance auf Marktführer*innenschaft besteht, also wo nicht dasselbe mit menschlicher Arbeit günstiger hergestellt werden kann. Wenig überraschend sind aber gerade in den kostengünstigeren Feldern, also in den schlechter bezahlten, überwiegend Frauen beschäftigt. Dort, wo Technologien eingeführt werden, kommt es dann meistens zu einer Defeminisierung, weil Frauen zum Beispiel bei Personalentscheidungen oder Schulungen weiterhin benachteiligt sind. Verschwinden in einer Branche die Frauen, geht das meist auch mit einer Aufwertung, also besserer Bezahlung und Status in dem Feld einher.
Die Digitalisierung ist für diese Phänomene weniger der Treiber als ein Werkzeug. Wie sich die Einführung des Werkzeuges auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen auswirkt ist ein Ausdruck der bestehenden Machtverhältnisse. Ein gutes Beispiel dafür ist die Plattformarbeit oder Crowdwork, die gerade groß im Kommen ist, also zum Beispiel Uber-Fahrer*innen, mjam-Lieferant*innen, Amazon-Bot*innen und Co. Das Phänomen Crowdwork wird oft als innovativ verkauft, weil Arbeit neuerdings über digitale Plattformen vermittelt wird. Die eigentliche Innnovation ist aber eine Umgehung von geltenden Arbeitsschutzbestimmungen durch die Schein-Selbstständigkeit der arbeitenden Menschen. Die technologische Neuerung steht also nicht im Zentrum des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses. Vielmehr müssen wir bereites errungene Rechte immer wieder neu erkämpfen und verhindern, dass Krisen dazu genutzt werden, die Arbeitnehmer*innenrechte zurückzudrängen.
Auch in der Coronakrise hat sich deutlich gezeigt, dass Digitalisierung sowohl Chance als auch Risiko sein kann. Viele Menschen können dem sogenannten Homeoffice einiges abgewinnen. Gleichzeitig zeigen sich auch die Schwierigkeiten, wenn ein Digitalisierungsprozess so rasant umgesetzt wird. Auf der einen Seite wurde vieles an Arbeitsorganisation effizienter organisiert, flexibler gestaltet oder Hardware aufgerüstet. Auf der anderen Seite kam es zu einer massiven Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit, wie eine Studie des IFES im Auftrag der Arbeiterkammer zeigt.[3] Ganz buchstäblich mussten viele Arbeitnehmer*innen ihr privates Equipment verwenden. Im „digitalen“ Büro wurden auch mehr Überstunden geleistet, eine Mehrheit der Arbeitnehmer*innen würde im Homeoffice eher nicht in den Krankenstand oder Pflegefreistellung gehen, und die meisten arbeiten nun auch abends oder am Wochenende. Diese Veränderungen müssen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen erst politisch ausverhandelt werden.
Das soll aber nicht bedeuten, dass Digitalisierung selbst ein neutrales Werkzeug wäre. Tatsächlich können Technologien bestehende Ungleichheiten auch noch verschärfen. Gerade im Bereich der algorithmischen Entscheidungen gibt es großes Potenzial für die Fortschreibung bestehender Vorurteile. Das liegt daran, dass „Machine Learning“ ja bedeutet, dass die Software nicht nur bestehenden Regeln folgt, sondern auf Basis ihrer Auswertung neue Regeln schafft. Beispielsweise hat ein Rekrutierungstool von Amazon auf historische Daten zurückgegriffen, um Kandidat*innen für neue Stellen vorzuschlagen. Da „lernte“ der Algorithmus aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit seltener Frauen angestellt wurden, und bewertete Bewerbungen systematisch schlechter, wenn im Text das Wort „Frau“ oder der Name vor Universitäten, die mehrheitlich von Frauen besucht wurden, vorkamen.
Diese Fehlentwicklung beruht vielmehr auf dem Irrglauben, Technologien wie Algorithmen seien objektiv und neutral. Ob es einen solchen Algorithmus geben kann, ist Gegenstand einer laufenden Debatte. Jedenfalls ist aber davon auszugehen, dass die fehlende Sensibilisierung jener, die Technik, entwickeln, dabei mitspielt. Dass Spitzentechnologien meist im Silicon Valley von weißen Männern entwickelt werden und Frauen nach wie vor im Tech-Sektor benachteiligt werden[4], ist Teil des Problems.
Denn digitale Kompetenzen, die letztlich für Technikentwicklung benötigt werden, sind ungleich verteilt. Studien, die die sogenannte „digitale Kluft“ untersuchen, stellen fest, dass das an zwei Ebenen passiert: Erstens haben Menschen unterschiedlich guten Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien. Während zum Beispiel in Österreich nur noch 8% der Gesamtbevölkerung über 16 Jahre noch nie das Internet benutzt haben, ist dieser Anteil unter älteren Menschen und unter Frauen deutlich höher. Bei Frauen über 65 Jahren liegt er sogar bei fast 40%![5] Dass gesellschaftliche Teilhabe unter Corona fast ausschließlich digital funktioniert, verdeutlicht, dass Menschen ohne Zugang zu IKT digital und sozial abgemeldet sind. Zweitens stehen digitale Kompetenzniveaus in hohem Ausmaß mit Geschlecht und sozialer Herkunft im Zusammenhang.[6] Auch in der Digitalisierung gilt: Bildung in Österreich wird vererbt.
Digitalisierung ist übrigens nicht nur sozial nicht neutral, sondern auch ökologisch. Spitzentechnologien wie Machine Learning benötigen enorm viel Energie, da sie rechenintensiver sind. Datenzentren, also „die Cloud“, verbrauchen enorm viel Strom für den Betrieb und die Kühlung der Server. Es ist dringend notwendig, die Digitalisierung auf grünen Strom umzustellen. Aber auch die Hardware ist ein Problem. Vernetzte Geräte, zum Beispiel in der Produktion, benötigen eine Vielzahl an seltenen Rohstoffen. Mit dem Blick auf Profite sorgen Hersteller dafür, dass Geräte öfter ausgetauscht werden müssen. Der notwendige Abbau seltener Rohstoffe findet dann im globalen Süden teils unter schwer menschenrechtswidrigen Bedingungen statt – progressiv ist das nicht.[7]
Digitalisierung treibt die Globalisierung bisher entsprechend bestehender Profitmotive voran. Dabei ist nicht zu übersehen, dass sie auch enorme Konzentration begünstigt. Plattformkapitalismus macht’s möglich, indem die Unternehmen Netzwerkeffekte, Skaleneffekte und Lock-In-Effekte nutzen.[8] Die großen Plattformunternehmen wie Amazon, Google und Co haben so nicht nur Kapital, sondern auch politischen Macht angesammelt. Diese nutzen sie zum Beispiel auf EU-Ebene, um gegen bessere Arbeitsschutzbestimmungen für Plattformarbeiter*innen zu lobbyieren.[9] Gleichzeitig versuchen Plattformen auch zu verhindern, dass sich Arbeitnehmer*innen organisieren, zum Beispiel indem sie Betriebsratsgründungen sabotieren.
Die digitale Konzentration auf der einen Seite geht nämlich nicht automatisch mit einer digitalen Vernetzung der Arbeitnehmer*innen einher. Das liegt natürlich daran, dass Technologien im Großen und Ganzen im Interesse jener entwickelt werden, die dafür bezahlen – wobei man hier nicht ausklammern sollte, dass die Grundlagenforschung, auf der Innovationen basieren, fast immer hauptsächlich staatlich finanziert wurde.[10] Wichtig ist es aber jetzt, dass auch die Arbeitnehmer*innen mitziehen und Lösungen für digitale Mitbestimmung entwickelt werden. Die Digitalisierung bietet auch dafür viele Chancen: Von Kollaborationstools über virtuelle Betriebsversammlungen bis zu Abstimmungstechniken bieten sich viele Chancen, den digitalen Wandel mitzugestalten.
Hinweis:
Die Arbeiterkammer Wien fördert mit dem Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 jetzt Projekte, die bei der Digitalisierung die Beschäftigten in den Mittelpunkt rücken. Ideen und soziale Innovationen, die gesellschaftliche Teilhabe und qualitätsvolle Arbeit trotz oder gerade durch den digitalen Wandel ermöglichen, können eingereicht werden. Mehr Informationen unter wien.arbeiterkammer.at/digifonds.
Astrid Schöggl ist Expertin für Digitalisierung in der Arbeiterkammer Wien. Sie studierte Socio-Ecological Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien und beschäftigt sich neben den Auswirkungen der Digitalisierung in der Arbeitswelt auch mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Mobilität und Plattformkapitalismus.
[1] Automatisierung und Beschäftigung: Ein Rückblick aufs 20. Jahrhundert
[2] Arbeitsmarkteffekte der Digitalisierung
[3] My Home is my Office – Arbeiten in den eigenen vier Wänden
[4] Why Is Silicon Valley So Awful to Women?
[6] Digital inequality in Austria: Empirical evidence from the survey of the OECD “Programme for the International Assessment of Adult Competencies”
[7] Policy Paper Industrie 4.0 Umwelt und Geschlechtergerechtigkeit
[8] Internet-Plattformen als Infrastrukturen des digitalen Zeitalters
[9] Nach kritischem Bericht: Tech-Konzerne geben Lobby-Verbindungen bekannt
[10] Mariana Mazzucato’s The Entrepreneurial State
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