Digitalisierung ist (wieder) ein Megathema – Klemens Himperle
Diplom-Volkswirt Klemens Himpele, ist seit 2020 CIO der Stadt Wien. Davor leitete er acht Jahre lange die Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik (MA 23). Er wurde in Baden-Württemberg geboren, studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Köln und war danach zunächst Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Von 2007 bis 2010 arbeitete Klemens Himpele als Projektleiter in der Bundesanstalt Statistik Austria in Wien. Zuletzt war er als Referent im Bereich Hochschule und Forschung im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Frankfurt am Main tätig. Für unseren Lehrgang Digitalisierung in Wien hat er einen Beitrag verfasst.
Digitalisierung ist (wieder) ein Megathema.
Spätestens mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie sind in den Haushalten Informationstechnologien vermehrt genutzt worden. Natürlich: Streaming, Essenslieferungen und Onlinehandel gab es schon lange – auch Videotelefonie ist nicht wirklich neu. Allerdings ist nutzen etwas anderes als die bloße, theoretische Möglichkeit, etwas zu nutzen. Insofern hat Corona vielen Technologien zu einem (zweiten) Durchbruch verholfen.
Damit wird auch der Nutzen der Digitalisierung immer sichtbarer, aber auch die Probleme, die mit der Digitalisierung einhergehen. Diese Debatte ist keinesfalls neu. Bekanntlich sprechen manche von der vierten industriellen Revolution, auch wenn es vermutlich sinnvoll ist, derartige Bewertungen den HistorikerInnen zu überlassen. Die Debatte zeigt jedoch, wie sehr die digitalen Technologien unser Zusammenleben verändern.
Das ist damit auch eine der zentralen Auseinandersetzungsebenen der Gegenwart: wir wissen, dass Technologien nie neutral wirken. Sie verändern unser Zusammenleben, sie verändern die Arbeitswelt, sie verändern die sozialen Interaktionen. Auch das wurde während der Pandemie deutlicher als je zuvor. Es ist eben ein Unterschied, was ich arbeite, welche ökonomische Position ich innehabe und wie meine Lebensumstände sind – und zwar auch und gerade bei der Nutzung der Technologien. Homeoffice mit Homeschooling, womöglich in kleiner Wohnung, ist etwas anderes als Homeoffice mit Garten und ohne Kinder. Die Technik ist aber in beiden Fällen dieselbe.
Die Frage, wie wir mit Technologien umgehen, ist auch Gegenstand von Auseinandersetzungen auf Ebene der Europäischen Union. War die Diskussion um die DSGVO auch stark im medialen Fokus, so scheint die Debatte um den Digital Services Act und den Digital Market Act, eher nur in kleineren Zirkeln geführt zu werden. Das ist schade, denn mit diesen beiden Regulierungsinitiativen will die Europäische Kommission den elektronischen Handel, den elektronischen Warenverkehr neu definieren. Damit soll eine europäische Antwort auf die Digitalisierung gefunden werden. Im Kern geht es um die institutionelle Absicherung entsprechender ökonomischer Aktivitäten, wie wir sie aus den offline-Bereichen schon lange kennen. Die Fragen, die im Zentrum stehen, ist die Haftung von Plattformen, die der Durchsetzbarkeit von rechtlichen Regelungen gegenüber international agierenden Internet-Konzernen, sowie die Frage wie mit illegalen Inhalten umgegangen wird und dergleichen mehr. Wenn man so will, dann ist das Jahr 2021 also auch das Jahr, indem die Regulierung ökonomischer Aktivitäten im Internet neu diskutiert wird.
Dabei sollten wir uns immer die Frage stellen: wie gelingt es uns, Technologien so zu nutzen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Diese Aussage aus dem Regierungsübereinkommen der Wiener Stadtregierung macht deutlich, worum es eigentlich gehen muss: wie können wir Technologien nutzen, um das Leben der Wienerinnen und Wiener besser zu gestalten. Es muss dabei klar sein: im Kern geht es bei der Gestaltung der Digitalisierung um die Gestaltung unseres künftigen Zusammenlebens. Wir alle kennen die Debatten über hate Speech im Internet, über die Beeinflussung unserer Demokratie, über die Frage, welche Arbeitsplätze es künftig geben wird und wo sich Jobprofile massiv verändern werden, die Frage der Kommunikation miteinander, die Frage des Respekts untereinander. Diese Themen können wir nicht Technikerinnen und Technikern überlassen, sondern die Digitalisierung ist ein Gegenstand, der gesamtgesellschaftlich diskutiert, verstanden und gestaltet werden muss. Es kann dabei nicht um ein Ob gehen – die Technologien sind da, sie sind nützlich und Sie werden genutzt werden – sondern um ein Wie: wie wollen wir den technischen nutzen optimal für uns gestalten?
Um eines deutlich zu sagen: der technologische Fortschritt ist die Grundlage unseres ökonomischen Wohlstands. Gegen technologischen Fortschritt anzukämpfen, ist insofern eine fragwürdige Haltung. Wer aber Technologien gestalten will, der kämpft nicht gegen sie an, im Gegenteil: um diese Technologien dauerhaft nutzbar zu machen, gehören die Fragen, die uns alle bewegen, dringend geklärt: Wie gestalten wir Arbeitsverhältnisse? Wie sieht es mit dem Konsumentenschutz im Jahr 2021 aus? Wie können wir die Durchsetzung geltenden Rechts auch im Internet sicherstellen? Welche Art der Kommunikation haben wir miteinander, wenn die elektronische Kommunikation immer mehr überhand gewinnt? Was bedeuten neue Arbeitsformen für die Menschen? Welche Kompetenzen, welche Qualifikationen benötigen wir dafür? Welche Technologien setzen wir ein, bei welchen sind wir vorsichtiger? Was bedeutet künstliche Intelligenz für unser Leben? Wie gehen wir mit selbstfahrenden Autos um? Man könnte noch viel, viel mehr Fragen stellen, worum es geht, ist aber relativ klar: wir müssen als Gesellschaft den Diskurs führen, wie Technologien eingesetzt werden sollen. Wenn wir nicht gestalten, dann werden wir in dieser Frage gestaltet werden. Und dieses „wir“ bedeutet in diesem Fall sehr stark: die Europäische Union muss hier zu einem Technologieverständnis kommen, dass den Werten und Traditionen der Europäischen Union entspricht.
Wenn uns das gelingt, dann wird die Digitalisierung das Leben bedeutend verbessern. Schon heute sind zahlreiche Fortschritte eng mit digitalen Technologien verknüpft – in der Kommunikation, in der Medizin, bei Verwaltungsvorgängen und aktuell in der Pandemiebekämpfung. Ich wiederhole mich aber: Diese Debatte ist gesellschaftlich zu führen, nicht durch technikaffine Menschen alleine.
Wien will und wird einen Beitrag zur weiteren Verbesserung der Lebensqualität der Menschen leisten. Die Forderung von Bürgermeister Dr. Michael Ludwig, Wien zur Digitalisierungshauptstadt zu machen, ist die richtige Forderung. Sie impliziert, und das ist im Wiener Regierungsübereinkommen klar ausgeführt, dass der Mensch bei diesen Bemühungen stets im Mittelpunkt zu stehen hat. Die analoge Lebensqualität muss also – ganz im Sinne des Digitalen Humanismus – auch im digitalen gelten. Gehen wir es gemeinsam an.