Equal Rights, Equal Pay, Equal Care – Marina Hanke
Was die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt mit dreckigen Windeln zu tun hat
von Marina Hanke
„Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.“ (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Artikel 141, 2022)
Mit dieser Passage des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wurde bereits im Jahr 1957 einer der ersten fundamentalen Grundsteine für das Ziel einer Europäischen Gemeinschaft der Gleichheit von Männern und Frauen gelegt. Nicht ganz 70 Jahre später schätzt das European Institute for Gender Equality (EIGE) in ihrem Gender Equality Index (Eige.europa.eu, 2022) – einem Werkzeug zum Messen des Fortschrittes von Geschlechtergerechtigkeit in der Europäischen Union –, dass es noch ca. drei Generationen brauchen wird, bis tatsächliche Gleichheit zwischen Frauen und Männern in der EU erreicht sein wird, wenn in diesem Tempo politisch weiter gehandelt wird. Die bisherigen und zukünftigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie werden als potenziell zusätzlich hemmender Faktor gesehen. Der Bereich der Arbeit – ob als Lohnarbeit oder unbezahlte Arbeit – ist im Kampf um Gleichstellung eines der zentralen Felder. Neben kurz- und mittelfristigen Maßnahmen zur besseren Absicherung oder auch Förderung von Frauen brauchen wir eine radikal transformative Politik, die das derzeitige System von Grund auf neu aufstellt. Nur dann können wir der Mehrheit der Bevölkerung, also den Frauen, gleiche Rechte, gleich viel Macht, gleiche Sicherheit und gleiche Lebensqualität garantieren – ohne dass sie noch weitere 100 Jahre darauf warten müssen.
1. Frauen und Arbeit – eine Bestandsaufnahme
Frauen und Lohnarbeit
Die Ungleichheit von Männern und Frauen im Erwerbsleben lässt sich an zahlreichen Faktoren ablesen. So ist zwar die Erwerbsbeteiligung von Frauen in den vergangenen Jahren vor der Pandemie gewachsen, jedoch zu einem großen Teil in Form von Teilzeitbeschäftigung oder geringfügiger Beschäftigung. Der Gender-Pay-Gap, der die Lohnunterschiede ganzjährig vollzeitbeschäftigter Männer und Frauen vergleicht, liegt 2022 in Österreich immer noch bei ganzen 17,1 Prozent – was für Frauen rund 9.430 Euro weniger im Jahr bedeutet. (www.wien.gv.at, 2022) Die Branchen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, sind zugleich auch die Branchen mit den niedrigsten Einkommen – obwohl Frauen vor allem in den wichtigen systemerhaltenden Branchen tätig sind: ob im Einzelhandel, als Reinigungskräfte, in der Pflege oder Betreuung. Männlich dominierte Berufsfelder wie beispielsweise technische Sparten sind klassischerweise um einiges besser bezahlt. Alte Rollenbilder, die schon junge Menschen in eben diesen Sparten verorten, halten sich hartnäckig: So bewegten sich auch im Jahr 2021 laut AMS die lehrstellensuchenden Frauen hauptsächlich in den Bereichen des Einzelhandels, der Bürokauffrau oder der Friseurinnen, während junge Männer sich in den Bereichen der KFZ-Technik, der Elektro- oder Installations- und Gebäudetechnik wiederfanden. Ein Gender-Pay-Gap existiert also bereits im Bereich der Lehre. (Grieger, 2022) Aber auch im späteren Verlauf einer Berufskarriere lassen sich deutliche Unterschiede festmachen. Frauen sind in Führungspositionen meist unterrepräsentiert: 2022 waren lediglich 24,7 Prozent der Aufsichtsratsmandate in den umsatzstärksten Unternehmen von Frauen besetzt, in den Geschäftsführungen waren Frauen zu 8,9 Prozent vertreten. (www.bundeskanzleramt.gv.at, 2022) Die Hälfte der Frauen fühlt sich im Job nicht gleichberechtigt und sieht schlechtere Aufstiegschancen. Die sogenannte „gläserne Decke“, an die Frauen mit Aufstiegswunsch stoßen, ist also immer noch fest über ihnen eingemauert. An einer schlechteren Qualifikation oder Ausbildung kann dies alles nicht liegen, können wir doch seit längerer Zeit eine starke Entwicklung im Bildungsniveau feststellen. So wurden 2018 57,4 Prozent der Maturaabschlüsse, 55,4 Prozent der Universitätsabschlüsse und 51,7 Prozent der Fachhochschulabschlüsse von Frauen erworben. (Frauen und Männer in Österreich. Zahlen, Daten, Fakten 2020, 2022) Die erheblichen Unterschiede in der Zeit eines Erwerbslebens haben auch drastische Auswirkungen auf die Zeit danach. Der Gender-Pension-Gap, also der Pensionsunterschied zwischen Männern und Frauen, liegt in Österreich immer noch bei 41,06 Prozent, was für Frauen brutto rund 860 Euro weniger pro Monat (!) bedeutet. (www.wien.gv.at, 2022) Das führt dazu, dass 2021 mehr als zwei Drittel der armutsbetroffenen über 65-Jährigen weiblich waren, mit einem Anstieg der Armutsgefährdung im Vergleich zum Vorjahr von rund 7,6 Prozent bei Frauen. Die gravierenden Unterschiede im Erwerbsleben, die sich sowohl auf Arbeitszeit als auch Lohn und Aufstiegschancen, aber auch auf Pension und Armutsgefährdung auswirken, werfen die große Frage nach dem Warum auf. Die Erklärungsmuster könnten einfach sein (und begegnen uns von rechter und konservativer Seite öfter als angenommen): Frauen arbeiten nun mal weniger, vielleicht leisten sie auch weniger, tragen weniger Verantwortung. Ausgeblendet wird bei all jenen Erklärungen oft die zweite großes Sphäre der Arbeit, ohne die eine ehrliche Analyse kaum vollzogen werden kann – die unbezahlte Arbeit.
1.2 Frauen und unbezahlte Arbeit.
Die weibliche Teilzeitquote liegt in Österreich bei 49 Prozent, was uns EU-weit mittlerweile Platz zwei in der Liste der höchsten Teilzeitquoten bei Frauen einbringt. ( https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gender-statistiken/erwerbstaetigkeit, 2022) Frauen sind nicht nur öfter, sondern in Jahren gemessen auch länger als Männer in einer Teilzeitbeschäftigung. Teilzeit bedeutet weniger Einkommen, weniger Pension und damit auch weniger Unabhängigkeit und Absicherung. Die Gründe für Teilzeitarbeit sind verschieden. So nennen viele Frauen ein unzureichendes Angebot an Vollzeitstellen in manchen Branchen. Der mit Abstand wichtigste Grund für in Teilzeit arbeitende Frauen sind jedoch Kinderbetreuungspflichten, österreichweit oft zusammenhängend mit mangelnder Infrastruktur von Kindergärten oder anderen ganztägigen Bildungsangeboten. Außerhalb Wiens ist nur jeder 5. Kindergartenplatz vollzeittauglich – die mangelnde Infrastruktur verunmöglicht es also, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten gehen, wenn nicht andere Betreuungspersonen zur Verfügung stehen.
Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern sowie althergebrachte Rollenbilder sorgen dafür, dass es zu einem großen Teil die Mütter sind, die für die Kinder sorgen. Das wirkt sich wiederum auf die Lohnunterschiede aus. Frauen verdienen im Alter zwischen 30 und 49 Jahren um rund ein Drittel weniger als Männer, aber auch schon davor liegen die Lohnunterschiede zwischen 9 und 12 Prozent. Die Geburt eines Kindes bedeutet für Frauen immer noch Einkommensverluste von bis zu 51 Prozent, während die Erwerbsarbeit von Männern durch Kinder in der Familie wenig beeinflusst wird, Väter arbeiten im Schnitt sogar mehr als Männer ohne Kinder. Aber nicht nur Kinderbetreuung, auch die Sorge- bzw. Care-Arbeit mit kranken oder zu pflegenden Angehörigen ist Frauensache, ebenso wie weitere unbezahlte Tätigkeiten von Kochen bis Putzen. Der sogenannte Care-Gap, also der unterschiedliche Zeitaufwand, den Frauen und Männer für unbezahlte Arbeit aufbringen, macht in Österreich 55 Prozent aus. Die letzte Zeitverwendungsstudie aus den Jahren 2008/2009 ergab eine wöchentliche unbezahlte Arbeitszeit von Frauen von 32 Stunden, während es bei den Männern nur 17,6 Stunden waren. (arbeiterkammer.at, 2022) Auch neuere Erhebungen bestätigen dieses Bild. So gab bei der Wiener Frauenbefragung 2022 rund die Hälfte der Frauen an, für Haushaltsarbeiten allein zuständig zu sein – immerhin auch knapp 42 Prozent der in Vollzeit berufstätigen Wienerinnen. Eine noch größere Ungleichverteilung manifestiert sich bei der Kinderbetreuung, wo 56 Prozent der Wienerinnen angeben, sich überwiegend allein darum zu kümmern, bei vollzeitbeschäftigten Wienerinnen sind es immer noch 52 Prozent. (Wien, wie sie will. Ergebnisse der Wiener Frauenbefragung, abrufbar auf, 2022) Mit dieser Mehrfachbelastung gehen nicht nur Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt einher, sondern auch große psychische Belastungen. „Mental Load“ – also „die erdrückende Last, für alles verantwortlich zu sein“ (Wölfl, 2022)– wird von vielen Wienerinnen in der Frauenbefragung als großes Problem thematisiert.
Frauen arbeiten also auf den Tag gerechnet insgesamt mehr als Männer – den Großteil dieser Arbeit verrichten sie jedoch unbedankt und unbezahlt.
2. Ungleichheit mit System
Die COVID-19-Pandemie hat uns innerhalb von wenigen Monaten in Gleichstellungsfragen um Jahre bzw. Jahrzehnte zurückgeworfen. Was sich in der Pandemie deutlich gezeigt hat, ist, wie tief patriarchale Geschlechterverhältnisse in unsere Gesellschaft eingeschrieben sind. Das liegt vor allem daran, dass sie eng an die kapitalistische Produktionsweise geknüpft sind und vieles erst durch diese hervorgebracht wurde. „Die Produktion verlegte sich in die Fabriken, Bergwerke und Büros, wo sie als ‚wirtschaftlich‘ galt und bar entlohnt wurde. Die Reproduktion wurde an die Familie delegiert, wo sie, feminisiert und sentimentalisiert, als Sorge und nicht etwa als Arbeit definiert wurde: als etwas, das aus Liebe geleistet wird, nicht gegen Geld.“ (Arruzza, Feminismus für die 99%. Ein Manifest. Berlin, 90., 2020) Während der Produktionsbereich als vorrangig und der Profitmaximierung dienend im Zentrum positioniert wurde, wurde die Reproduktionsarbeit zum unsichtbaren Bereich gemacht – obwohl Ersteres ohne Letzteres nicht existieren könnte. Rund 10,9 Billionen Euro wäre die weltweite unbezahlte Arbeit von Frauen im Jahr 2020 wert gewesen, wäre sie entlang von Mindestlöhnen bezahlt worden, so die Schätzung in einer Studie von Oxfam. (kontrast.at, 2022)In einigen Bereichen wie gesundheitliche Versorgung oder Kinderbetreuung und -erziehung wird Care-Arbeit staatlich und damit gemeinschaftlich organisiert. Das ist auf Errungenschaften sozial(demokratisch) er Bewegungen und Politiken zurückzuführen und ermöglichte den verbreiteten Einstieg von Frauen in die Sphäre der Lohnarbeit. Was als Versprechen des Aufstiegs und der Unabhängigkeit begann, spitzte sich aber insbesondere für die Frauen weltweit in den letzten Jahrzehnten umso mehr zu. Der Neoliberalismus mit seiner absoluten Doktrin der liberalisierten Märkte, des Wettbewerbs und der möglichst geringen staatlichen Eingriffe sorgte für sinkende Löhne, Privatisierungen und damit für einen massiven Qualitätsverlust in der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie für einen Abbau von Sozialleistungen, jedoch auf der anderen Seite für einen stetigen Ausbau von Arbeitszeiten und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Obwohl für einige Frauen ein Aufstieg in höhere Positionen möglich war, sieht die Realität für die Vielen, insbesondere in einer globalisierten Welt, anders aus: „Die meisten Frauen erwartet die Reinigung von Büros, Hotelzimmern und Privatwohnungen, das Leeren von Bettpfannen in Krankenhäusern und Altenheimen oder auch die Betreuung von Familien aus privilegierteren Schichten – oft um den Preis der Sorge um ihre eigenen, geografisch weit entlegenen Familien.“ (Arruzza, Feminismus für die 99%. Ein Manifest. Berlin, 95., 2020) Dass unsere Gesellschaft auf dieser unter- oder unbezahlten Arbeit von Frauen aufbaut, hat uns die COVID-19-Pandemie wieder drastisch vor Augen geführt. Frauen sind in Krisenzeiten immer wieder in der Rolle der „sozialen Airbags“: „Frauen übernehmen dann deutlich mehr unbezahlte Arbeit, gerade wenn man diese Arbeit am Markt nicht mehr leisten kann oder sie vom Staat nicht mehr angeboten wird“ (derstandard.at, 2022), so die Ökonomin Katharina Mader. Die systemische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die den schlechteren Zugang von Frauen zu Ressourcen, zu Macht, zu Absicherung und damit zu einem Leben in Sicherheit und ohne Mehrfachbelastung bedeutet, ist eng mit dem Bereich der Arbeit und der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit verknüpft, wobei Lohnarbeit, Sorgearbeit, unbezahlte Arbeit unmittelbar miteinander verbunden sind.
3.Veränderung ist möglich – Wien als Stadt der Frauen
Was als in Stein gemeißelt und unüberwindbar scheint, kann sehr wohl durch politische Maßnahmen nachhaltig verändert werden. Der Vergleich macht sicher, in diesem Fall am Beispiel von Väterkarenz: So zeigt sich, dass bereits 2016 in Island 90 Prozent der Väter Karenzzeiten in Anspruch nahmen und durchschnittlich 100 Tage in Karenz blieben. In Schweden sind es 80 Prozent der Väter, die zumindest drei Monate in Karenz gehen. Die Gründe? In beiden Ländern wird Väterkarenz nicht nur gefördert, sondern zu Teilen mit einer „Use it or lose it“-Quote versehen – der Anspruch auf eine gewisse Zeit an Karenzmonaten verfällt, wenn nicht beide Elternteile in Karenz gehen. Hinzu kommen – auch in zahlreichen anderen Ländern mit einer höheren Väterkarenzquote – zusätzliche Anreizsysteme wie beispielsweise Gleichstellungsboni, die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduktion bis zu einem bestimmten Alter der Kinder, Einkommenskompensationen während der Karenzzeit und zusätzlich eine gut ausgebaute Infrastruktur in Form von ganztägigen Kinderbildungsangeboten sowie Betreuung und Pflege für diejenigen, die es brauchen. (irsocialresarch.at , 2022)Ein gut ausgebautes, stabiles System öffentlicher Daseinsvorsorge ist generell ein Garant für eine bessere Arbeitsmarktinklusion von Frauen und damit für mehr ökonomische Unabhängigkeit. Das macht auch ein Blick in die österreichische Bundeshauptstadt klar. Wien zeigt seit vielen Jahrzehnten, dass eine Politik, die in allen Bereichen sehr bewusst die Lebensrealitäten von Frauen und die damit einhergehende Ungleichheit im Vergleich zu Männern mitdenkt und die auf Privatisierungen verzichtet und ganz im Gegenteil eine starke kommunale Daseinsvorsorge immer weiter ausbaut, große Schritte hin zu mehr Gleichberechtigung und Gleichheit setzen kann. Anhand von zwei Beispielen kann dies gut skizziert werden:
3.1 Arbeitsmarktförderung für Frauen
Mit dem Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds (waff) hat die Stadt Wien seit vielen Jahren ein einzigartiges Angebot, das von Beginn an einen speziellen Fokus auf Aus- und Weiterbildung von Frauen gesetzt hat. Kostenlose Beratung, Workshops und Informationen über Aus- und Weiterbildung begleiten Frauen durch die Karenz und beim beruflichen Wiedereinstieg. Treffsicher reagiert der waff aber auch auf generelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Die voranschreitende digitale Transformation wird seit vielen Jahren begleitet, um dafür zu sorgen, dass Frauen nicht die Verliererinnen dieser Transformation sein werden – das Programm FRECH (Frauen ergreifen Chancen) unterstützt bei beruflicher Veränderung. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf große gesellschaftliche Fragen wie Klimaschutz oder Nachhaltigkeit – neue Berufsbilder entstehen, andere verändern sich drastisch. Auch hier greift die Stadt Wien mit einem speziellen Stipendium ein und finanziert bis 2025 über den waff 300 zusätzliche Studienplätze an Wiener Fachhochschulen für berufstätige Frauen. Der ungleichen Verteilung von Frauen und Männern in den Bereichen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Technik wird also aktiv entgegengewirkt. Ein zentraler Punkt in vielen Programmen des waff ist die direkte finanzielle Unterstützung, die eine Aus- oder Weiterbildung oft erst wirklich ermöglicht. So wurde mit dem Wiener Ausbildungsgeld ein weiteres Stipendienmodell für Auszubildende in bestimmten Berufssparten im medizinischen und pädagogischen Bereich geschaffen, das längere Ausbildungen mit 400 Euro monatlich begleitet. Mit der Wiener Pflegeausbildungsprämie unterstützt die Stadt Wien beim Einstieg in die wichtigsten Pflegeberufe und stärkt damit auch einen Bereich, der für die Daseinsvorsorge der Stadt und damit für alle Wiener*innen besonders wichtig ist.
3.2 Öffentliche Infrastruktur, die Frauen stärkt
Flächendeckende ganztägige Kinderbildungseinrichtungen bieten nicht nur den Kleinsten die beste Bildung, sondern ermöglichen auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit. Mit nur rund zehn Schließtagen pro Jahr im Kindergarten nimmt Wien hier österreichweit klar die Spitzenposition ein, ebenso bezogen auf die Öffnungszeiten, denn die Wiener Kindergärten starten am frühesten und haben am längsten geöffnet. Der kontinuierliche Ausbau von ganztägigen Schulformen in Wien entlastet ebenso diejenigen mit Betreuungspflichten, hat aber vor allem bildungspolitisch einen großen Einfluss für junge Frauen in unserer Stadt: Wer in der Schule begleitet wird und ohne Schultasche nach Hause gehen kann, weil alles bereits erledigt wurde, ist nicht abhängig davon, ob die Eltern zu Hause am Abend noch helfen können oder eine Nachhilfe bezahlt werden kann. Eine öffentliche Infrastruktur, die Frauen stärkt, bedeutet aber noch viel mehr: Gute öffentliche Mobilität, leistbarer Wohnraum oder öffentliche Pflegeund Betreuungseinrichtungen entlasten die Bewohner*innen einer Stadt, insbesondere aber die Frauen. Dass diese Politik wirkungsvoll ist, zeigt sich in den Daten: Der Gender-Pay-Gap ist in Wien österreichweit mit nur 12 Prozent am geringsten (im Vergleich dazu ist er in Vorarlberg fast doppelt so groß), der Gender-Pension-Gap mit „nur“ 25,2 Prozent im Vergleich zum Westen Österreichs (Vorarlberg: 46,2 Prozent; Tirol: 44,3 Prozent) ebenso deutlich geringer.
So wirksam die intensive Frauenpolitik der Stadt Wien in den vergangenen Jahrzehnten war und bis heute ist, so begrenzt sind dennoch die Möglichkeiten eines Bundeslandes allein, um Geschlechtergerechtigkeit vollends herzustellen.
3. Die Probleme an der Wurzel packen durch umfassende Transformation
Wollen wir Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt, wollen wir gleiche Absicherung und damit gleiche Unabhängigkeit für alle Menschen garantieren, dann müssen wir in beiden Sphären der Arbeit ansetzen und tiefgreifende Maßnahmen vorantreiben. Die neoliberale Profitmaximierungslogik verlangt immer mehr Stunden Lohnarbeit und will gleichzeitig immer weniger sozialstaatliche Maßnahmen und Mechanismen sehen. Sie treibt damit „Familien, Gemeinschaften und (vor allem) Frauen bis an ihre Belastungsgrenze“ (Arruzza, Feminismus für die 99%. Ein Manifest. Berlin, 38, 2020). Ein System, das weiterhin darauf aufbaut, dass ein Großteil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit unbezahlt oder unterbezahlt verrichtet wird und diejenigen, die dafür zuständig gemacht werden, nicht selten an die Armutsgrenze oder in Abhängigkeiten treibt, kann keine Zukunft haben. Es bedeutet für uns somit, den Fokus zurechtzurücken und darauf zu legen, was für uns alle unabdingbar ist, und diesen Tätigkeiten auch die notwendige Wertschätzung zu geben – das heißt nicht klatschen auf den Balkonen, sondern gute Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen. Es bedeutet auch, Sorgearbeit nicht zunehmend zu individualisieren, sondern der Belastung im Privaten einen Ausbau öffentlicher Infrastruktur entgegenzustellen. Und für die Tätigkeiten und die Sorgearbeit, die weiterhin (gewünscht) im Privaten passieren, müssen wir ausreichend freie Zeit und eine gute Aufteilung garantieren. Wollen wir die Tätigkeiten, die spätestens ab der Pandemie als für wirklich alle gesellschaftlich dringend notwendig erkannt worden sind, aufwerten, bedeutet das aber, grundlegende Mechanismen unserer Gesellschaft zu verändern und auszuhebeln. Oder wie es Christa Wichterich so treffend formuliert: Die Ökonomie muss „vom spekulativen Kopf auf die versorgenden Füße gestellt werden“ (Wichterich, 2022)
Diese Auseinandersetzung wird keine einfache sein, denn diejenigen, die sich bisher im Licht der Anerkennung als vermeintliche Leistungsträger*innen sonnen konnten, diejenigen, die ihren Reichtum insbesondere in den vergangenen Jahren von ÖVP-Regierungen durch staatliche Zuwendungen und Prekarisierung von Arbeitsbedingungen noch weiter ausbauen konnten, müssen und werden verlieren. Ohne eine Umverteilung von Vermögen durch Vermögensabgaben und Erbschaftsteuern, ohne ein starkes Steuersystem für transnationale Unternehmen, das Steuerhinterziehung verhindert, ohne Finanztransaktionssteuern und – wie uns die letzten Monate der Energiekrise eindrucksvoll bewiesen haben – auch ohne Markteingriffe ist keine Ausfinanzierung und schon gar kein Ausbau einer starken Daseinsvorsorge möglich. Ohne eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ohne verpflichtende Väterkarenz, ohne einen flächendeckenden Ausbau ganztägiger Bildungsangebote und einen Rechtsanspruch darauf, ohne begleitende Maßnahmen zur Zerschlagung von längst tradierten Rollenbildern sind eine faire Verteilung von gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten und damit eine gute Absicherung aller Menschen nicht durchsetzbar.
Literaturverzeichnis
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